Prof. Dr.-Ing. Jan Lunze
Graphentheoretische Methoden der Systemtheorie
Lehrveranstaltung im Sommersemester 2023
Vorlesung und Übung, 3 SWS, 4 LP
Mittwochs, 10:15 – 13:45 Uhr, Raum ID 03/463
Häufig haben kompliziert erscheinende
systemdynamische Eigenschaften relativ einfache Ursachen, die man
mit graphentheoretischen Methoden aufdecken kann. Die
Lehrveranstaltung zeigt an zahlreichen Szenarien, wie man
Modellbildungs-, Analyse- und Entwurfsaufgaben unter Ausnutzung
struktureller Eigenschaften systematisch vereinfachen kann. Dabei
lernen die Hörer, wie man aus vielfältigen Informationen
Strukturgraphen abstrahiert und Probleme der System- und
Regelungstheorie mit graphentheoretischen Methoden löst. Viele
Anwendungsbeispiele der Elektrotechnik und der Informationstechnik
illustrieren dieses Vorgehen.
Ziele der Lehrveranstaltung
Die Lehrveranstaltung soll zeigen, dass wichtige systemdynamische
Eigenschaften im Wesentlichen von der Frage abhängig sind, welche
Signale oder Komponenten eines dynamischen Systems mit welchen
anderen verkoppelt sind. Graphen, die diese Frage beantworten,
sind anschaulich, erleichtern das intuitive Verständnis von
Analyse- und Entwurfsverfahren und erklären, wann bestimmte
Eigenschaften auftreten und wann nicht. Darüber hinaus gibt es
natürlich viele Eigenschaften, die auch durch die Parameterwerte
des Systems beeinflusst werden und nicht allein aus einer
strukturellen Betrachtung abgeleitet werden können. Die Grenze
zwischen beiden Gebieten aufzuzeigen, ist ein weiteres wichtiges
Ziel dieser Lehrveranstaltung.
Gliederung
Die Grundlagen der Graphentheorie sollen nur so weit erläutert
werden, wie sie für die Behandlung der einzelnen Themen notwendig
sind. Deshalb ist die Lehrveranstaltung in drei Teile unterteilt:
I. Methoden, die die Grundbegriffe der
Graphentheorie und Graphensuche nutzen
Bei der Graphensuche werden gerichtete oder ungerichtete Graphen
systematisch "`durchschritten"', um Pfade zwischen zwei Knoten zu
finden bzw. Graphen in stark verbundene Teilgraphen zu zerlegen.
Diese Methoden führen auf systematische Lösungsverfahren für
logische Entscheidungsprobleme und zu Bayesnetzen, die eine
Verbindung zwischen der Graphentheorie und der
Wahrscheinlichkeitsrechnung herstellen.
Wichtige graphentheoretische Methoden:
Erreichbarkeitsanalyse gerichteter Graphen, Zerlegung von Graphen
in stark zusammenhängende Komponenten, Graphensuche
(Dijkstra-Algorithmus, A*-Algorithmus), Systemanalyse mit
Bayesnetzen, MATLAB-Funktionen zur Behandlung von Graphen
Anwendungsbeispiele:
Routenplanung im Straßenverkehr, Bahnplanung von Robotern,
Diagnose eines Motorkühlsystems, Modellierung und Verhalten einer
Heckleuchte
II. Methoden, die auf der algebraischen
Graphentheorie beruhen
Die algebraische Graphentheorie stellt eine Verbindung zwischen
den algebraischen Modellen dynamischer Systeme und
graphentheoretischen Verfahren her, indem sie die Eigenschaften
von Graphen als Parameter und Kenngrößen von Matrizen
interpretiert. Umgekehrt bestimmt sie Eigenschaften von Matrizen
wie deren Rang oder deren Determinante als Kenngrößen eines
Graphen. Damit bildet sie die Grundlage für verschiedene
Zerlegungs- und Aggregationsverfahren und führt auf generische
Eigenschaften linearer Systeme (z. B. Steuerbarkeit und
Beobachtbarkeit) sowie zu Analysemethoden von Netzwerken.
Wichtige graphentheoretische Methoden:
Erreichbarkeitsanalyse mit Adjazenzmatrizen, graphentheoretische
Interpretation des Rangs und der Determinante einer Matrix,
Mason-Regel, Lösung von Maximalflussproblemen
(Max-Flow-Min-Cut-Theorem), Fundamentalzyklen und Zyklenraum von
Graphen
Anwendungsbeispiele:
Verhalten geregelter Gleichstrommotoren, Kopplungsanalyse von
Elektroenergienetze, Zustandsbeobachtung einer Verladebrücke,
Datenfluss- und Verkehrsflussprobleme, Fahrdynamik bei
Abbremsvorgängen, Modellierung und Verhalten von RC-Schaltungen,
Lastfluss in Elektroenergiesystemen
III. Methoden, die bipartite Graphen
nutzen
Bipartite (paare) Graphen werden genutzt, um Modellgleichungen zu
manipulieren, so dass erkennbar wird, welche Ausgangsgrößen eines
Systems eindeutig durch ein Modell bestimmt sind. Die
Modellgleichungen werden als Constraints für die in ihnen
vorkommenden Variablen interpretiert. Ihre Darstellung durch
bipartite Graphen ermöglicht die Zerlegung des Modells in
Teilmodelle mit unterschiedlichen Eigenschaften.
Wichtige graphentheoretische Methoden:
Eigenschaften und DM-Zerlegung von bipartiter Graphen
Anwendungsbeispiele:
Lösung linearer Gleichungssysteme mit Anwendung auf elektrische
Netze.
Mit dieser Unterteilung spricht die Veranstaltung ein breites
Themenfeld an, wobei die Vorlesungen und Übungen jeweils auf die
wichtigsten Aspekte eines Themas eingehen und das Skript auch
weiterführende Informationen enthält.
Gestaltung der Lehrveranstaltung
Die Lehrveranstaltung gliedert sich in wöchentliche Vorlesungen
und Übungen zu je zwei Stunden, was über den Zeitraum von neun
Wochen einer Veranstaltung mit 3 Semesterwochenstunden und
folglich 4 Leistungspunkten entspricht. Die Aufteilung des Stoffs
in die Vorlesungen und die Übungen folgt dem "`Hauptsatz der
Didaktik"', der besagt, dass das Produkt aus Genauigkeit der
Vermittlung neuen Wissens und der Verständlichkeit einer
Lehrveranstaltung konstant ist:
Genauigkeit * Verständlichkeit
= konstant.
Ein sofort in allen Einzelheiten vorgetragener neuer Sachverhalt
ist folglich schwer verständlich. Deshalb muss sich jede Vorlesung
auf die wichtigsten Fakten, Begriffe und Ansätze konzentrieren und
die zu behandelnde Methodik zunächst in ihren Grundzügen
schildern, wofür häufig vereinfachende Annahmen eingeführt werden.
Wer die groben Züge verstanden und selbst aufgeschrieben hat, kann
sich anhand des Skripts ein genaues Bild machen und die
Übungsaufgaben lösen, die sich natürlich auf die Methodik mit
allen ihren Details beziehen. Darauf aufbauend dienen die Übungen
zur Diskussion des Lehrstoffes. Im Sinne einer guten
Verständlichkeit werden in den Vorlesungen keine vorgefertigten
Bilder und Formelsammlungen gezeigt, sondern die Modellansätze und
Lösungsmethoden schrittweise an der Wandtafel vorgeführt.
Zahlreiche Beispiele illustrieren den Stoff.
Hinweise für den Besuch der
Lehrveranstaltung
Auch bei bester Vorbereitung kann eine Lehrveranstaltung nur
effektiv sein, wenn die Teilnehmer die folgenden Hinweise
beachten:
- Tragen Sie sich in Ihren Wochenplan den Veranstaltungstermin ein und reservieren Sie genügend Zeit für die Nacharbeitung der Vorlesungen und die Vorbereitung der Übungen. Halten Sie sich an Ihren Plan.
- Schreiben Sie in der Vorlesung mit. "Denn, was man schwarz auf weiß besitzt, Kann man getrost nach Hause tragen." (Mephistopheles in J. W. v. Goethe: "Faust. Eine Tragödie, Teil 1", Tübingen 1808). Dieses Skript ersetzt keine Mitschrift.
- Lösen Sie die Übungsaufgaben vor der Übung selbstständig. Nur dann erfüllen diese Aufgaben die Funktion, Ihre Kenntnisse zu überprüfen, den Stoff zu illustrieren und die Anwendung der behandelten Methode zu demonstrieren. Viele Fehler muss man selbst gemacht haben, um aus ihnen zu lernen.
- Bereiten Sie auch die MATLAB-Übungen vor. Eine rechnergestützte Arbeitsweise ist nur möglich, wenn vorher die Aufgabe geklärt, die Lösungsmethode verstanden und die zu verwendenden Modelle zusammengestellt sind.
- Die Straßenbahn U35 ist nicht der richtige Ort zum Lernen, wenige Tage vor der Klausur mit der Vorbereitung zu beginnen ist nicht der richtige Zeitpunkt und das Querlesen des Skripts ist keine seriöse Prüfungsvorbereitung (nach C. Wölfel: "Hinweise zur Lehrveranstaltung 'Systemdynamik und Reglerentwurf'", WS 2022/23)
- Und bei allem gilt: Bevor Sie mit dem Lernen beginnen, Handy ausschalten!

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